Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Viele werdende Eltern haben einerseits bereits gehört, dass Eltern oft unter Schlafmangel leiden. Andererseits haben sie ein Bild wie aus der Werbung im Kopf: Sie stellen sich vor, wie ihr Baby friedlich in seinem Bettchen in seinem eigenen Zimmer liegt. Zum Einschlafen müssen sie nur die Spieluhr anmachen. Jetzt dem Baby einmal über den Kopf streicheln – schon schläft das Kleine friedlich ein. Welch schöne Vorstellung!

Leider ist dieses Bild in den allermeisten Fällen sehr weit von der Realität entfernt. Ist das Baby erst einmal auf der Welt, stellen die Eltern nach kurzer Zeit fest, dass es in der Nacht doch ziemlich anders verhält.

Das sind die typischen Schwierigkeiten

  • Zum Einschlafen lässt sich das Baby nicht hinlegen. Es will gehalten, gestillt, geschaukelt und besungen werden. 
  • Hat man es mühevoll in den Schlaf geschuckelt, gekuschelt oder gestillt, legt man es vorsichtig ab. Und dann wacht es nach kurzer Zeit wieder auf. Und beruhigt sich erst, wenn es auf Mamas oder Papas Arm ist.
  • Das Baby wacht alle 1,5 – 3 Stunden auf und braucht Nahrung und Nähe.
  • Manchmal hat das Baby mitten in der Nacht längere Wachphasen, in denen es gar nicht einschlafen will.
  • In manchen Nächten will das Baby gefühlt die ganze Zeit an die Brust und stillen, stillen, stillen.

Viele Eltern sind auf diese Realität nicht vorbereitet. Sie zweifeln an sich, fragen sich, ob sie irgendetwas in der Bedienungsanleitung zu ihrem Baby falsch verstanden haben. Aber nein, so wie Dein Baby sich verhält, verhält es sich ganz normal und richtig. Und so, wie Du bisher darauf reagiert hast – mit Kuscheln, Stillen, Tragen, Singen – hast Du es genau richtig gemacht!

Warum brauchen Babys nachts so viel Nähe?

Um zu verstehen, warum Babys in der Nacht so viel Nahrung und Nähe benötigen, werfen wir einen Blick auf den Ort, woher Dein Baby kommt; den Ort, woher wir Menschen kommen.

Dein Baby war monatelang in Mamas Bauch. Dort gab es zu jeder Zeit etwas zu Essen und zu Trinken. Es war gemütlich warm, dunkel und schwerelos – einen Unterschied zwischen Tag und Nacht gab es nicht. Beruhigende Geräusche von Mamas Bauch und Herz und sanftes Geschaukel durch Mamas Bewegungen vermittelten Deinem Baby Sicherheit und Geborgenheit. All das ist nun, da Dein Baby auf die Welt gekommen ist, nicht mehr so selbstverständlich. An die Gegebenheiten außerhalb von Mamas Bauch müssen sich die meisten Babys erst gewöhnen. Und diese Gewöhnung braucht ihre Zeit.

Ein Blick in die Menschheitsgeschichte

Und nun ein Blick auf unsere Geschichte als Menschen: Unsere Vorfahren waren Nomaden und haben meist in einer ziemlich feindlichen Umwelt gelebt. Die Menschen mussten damals Angst haben, von wilden Tieren angegriffen zu werden. Einfach einmal mehrere Stunden am Stück durchschlafen war da nicht drin. Sicherer war es, immer mal aufzuwachen und auch sehr leichte Schlafphasen zu haben. Um im Fall der Fälle gewappnet zu sein. Und dieses uralte Programm trägt jedes Menschenbaby noch in sich. Es muss einfach sicherstellen, dass die Erwachsenen, die ihm Schutz und Wärme geben können, noch da sind. Es braucht ziemlich lange, damit ein Kind die Sicherheit gewinnt, dass es ohne Bedenken alleine in seinem sicheren Zimmer schlafen kann.

Rasantes Wachstum, besonders in der Nacht

Und dann kommt noch das rasante Wachstum hinzu, das so ein Kind hinlegt. In den ersten vier Lebensjahren finden ganze 50% der Entwicklung der gesamten Kindheit statt. Das kann man schon mal sacken lassen: 50% in vier Jahren einer Kindheit. Und die dauert mindestens 18 Jahre an, nach moderner Definition bis zu 27 Jahre! Viele der Entwicklungssprünge, z.B. im Bereich des Immunsystems, in der Gehirnentwicklung und im Längenwachstum finden nachts statt. Für dieses rasante Wachstum und all die kognitiven Sprünge brauchen Babys und Kleinkinder einfach eine ordentliche Menge Futter. Und sichere Begleitung durch ihre geliebten Bindungspersonen – auch in der Nacht.

Und deshalb ist es vollkommen normal und sogar gesund, wenn dein Baby in der Nacht aufwacht. Wenn es nach Dir ruft, um sich deiner Nähe zu vergewissern und um sein Bäuchlein mit guter Milch aufzutanken. Bei den meisten Kindern verringert sich die Häufigkeit des nächtlichen Aufwachens spätestens im zweiten Lebensjahr. Die Nähe ihrer Eltern fordern viele Kinder allerdings noch bis ins höhere Kleinkindalter ein. 

Was kannst du also tun, um eure Nächte möglichst ruhig zu gestalten?

  • Um Dein Baby bei der Entwicklung eines Tag-Nacht-Rhythmus zu unterstützen, kannst Du sicherstellen, dass es zwischen Tag und Nacht einen deutlichen Unterschied gibt. Am Abend wird das Zimmer verdunkelt und es werden nur noch leise und ruhige Aktivitäten angeboten. Wacht das Baby in der Nacht auf, vermeide helles Licht und laute Aktivitäten.
  • Für die Tagschläfchen oder Zeiten am Abend, in denen Dein Baby schon schläft, sich aber noch nicht ablegen lässt, kannst Du eine Babytrage oder ein Tragetuch verwenden. Sie ermöglichen Deinem Baby einen entspannten Schlaf direkt an Mamas oder Papas Herzschlag und dem tragenden Elternteil zwei freie Hände.
  • Muttermilch enthält Hormone, die das Baby beruhigen und abends müde machen. Ja genau: Die Milch ist je nach Tageszeit unterschiedlich und optimal zusammengesetzt! Diese Hormone beruhigen auch die stillende Mutter und tragen dazu bei, dass Mama ebenfalls leichter wieder einschläft. Einschlafstillen ist also wunderbar geeignet, um dem Baby und der Stillenden in den Schlaf zu verhelfen.

Mach es Dir leicht!

  • Gestalte die Schlafsituation so einfach wie möglich: Dein Baby liegt direkt neben Dir in seinem Babybalkon, der an Deinem Bett angebracht ist. Oder sogar direkt bei Dir im Familienbett. Alles, was du zum Stillen oder für das Fläschchen benötigst, ist griffbereit neben dem Bett, sodass Du gar nicht erst aufstehen musst.
  • Lasse Dir zeigen, wie Du im Liegen stillen kannst. So musst du Dich nur zu Deinem Baby drehen und Ihr braucht gar nicht erst richtig aufzuwachen. 
  • Suche Dir Entlastung – durch Deine*n Partner*in, durch Deine Eltern oder Geschwister. Vielleicht hilft auch eine Haushaltshilfe oder ein Kindermädchen, das Dir am Tag mal 2 Stunden das Baby abnimmt, damit Du Dich ausruhen kannst? Und um das Mittagessen darf sich auch mal der Pizzabote kümmern.

Vertrauen haben, Vertrauen geben

Zuletzt möchte ich Dich ermutigen, darauf zu vertrauen, dass Dein Baby Dich nicht umsonst zu sich ruft – weder am Tag noch in der Nacht. Wenn Dein Baby durch Quäken oder Schreien nach Dir verlangt, dann hat das einen Grund – auch wenn Du diesen vielleicht nicht immer direkt erkennen kannst. Manchmal erschließt sich erst nach einigen halb durchwachten Nächten, dass da auf einmal ein neues Zähnchen hervorblinkt oder Dein Baby sich plötzlich allein drehen kann. 

Also, bitte, lass dein Baby sich nicht allein in den Schlaf schreien! Es braucht Dich, Deine Nähe, Nahrung und Geborgenheit und ist ohne Dich nicht in der Lage, zu überleben. Alleine zu schreien, löst deshalb bei Babys große Angst und Hilflosigkeit aus.

Die Zeit, in der Babys und Kleinkinder so viel Nähe und Begleitung benötigen, geht insgesamt gesehen schnell vorbei. Und auch Du darfst diese intensive Zeit genießen: So viel Kuscheln, so viel Nähe, so viel süßer Babyduft! Vielleicht ist es doch ganz gut, dass es im echten Leben nicht wie in der Werbung zugeht…

Alles Liebe! Deine

Jasmin Zahedi
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