Von Traditionen „übermannt“

Viele Familien machen die Erfahrung, dass nach der Geburt eines Kindes, fast wie von selbst, eine Aufteilung der Eltern in traditionelle Rollenmuster passiert.

Ein Baby kommt auf die Welt. Zwei Menschen, häufig vereint in liebevoller Partnerschaft, werden Eltern. Die Geburt des Babys bringt Wundervolles in die kleine Familie. Und sie sorgt dafür, dass die Karten zwischen den Partner*innen noch einmal gehörig durchgemischt werden. Der gesamte Alltag, die Partnerschaft, die Art, wie ein Paar zusammenlebt – all das wird sich mit der Ankunft des Babys verändern. Einiges verändert sich vielleicht zum Guten, dafür gerät anderes aus dem Gleichgewicht. In Deutschland fallen viele Paare in dieser Zeit in eine eher traditionelle Rollenverteilung zwischen Mann und Frau, Vater und Mutter. Der Vater als berufstätiger Versorger der Familie, der eventuell noch ein paar Stunden aufstockt. Die Mutter als Versorgerin des Babys, des Haushalts und des Familienfriedens. Und das, obwohl viele Paare sich vor der Geburt des Kindes eine gleichmäßige Rollenverteilung vorgestellt hatten und eben diesen Rückfall in alte Rollenmuster vermeiden wollten! Frustration und Enttäuschung können in diesem Falle groß sein. 

Wie finden Paare ins Gleichgewicht?

Wie können Eltern aus dieser schiefen Lage herauskommen und sich die Haus- und Care-Arbeit wieder gleichmäßiger aufteilen?

Wie wir gesehen haben, stellt die Geburt eines Kindes ein bedeutendes Lebensereignis dar. Psycholog*innen nennen solche Momente im Leben auch „kritische Lebensereignisse“ (dazu gehören z. B. auch Hochzeiten), die uns dazu bewegen, unser Leben neu zu arrangieren. Und genau hier liegt einer der Knackpunkte, denn im (potentiellen) Krisenmodus fallen wir am liebsten auf altvertraute Muster zurück. In Deutschland leben nur ca. 6% der Haushalte eine gleichberechtige Aufteilung der Haus- und Care-Arbeit. Gesellschaftssystem und Arbeitsmarkt gehen wie selbstverständlich davon aus, dass die Eltern sich innerhalb der (heterosexuellen) Kleinfamilie organisieren. Und dass die Frau dabei diejenige sein sollte, die Haushalt und Kinderbetreuung übernimmt. Die meisten von uns werden zudem in einem Elternhaus aufgewachsen sein, in dem die Haus- und Care-Arbeit ebenfalls nicht gleichmäßig aufgeteilt war. Erziehung, frühkindliche Prägung und immer wieder gesehene, stereotype Bilder (z. B. in Werbung und Medien) führen zu internalisierten Idealbildern. Diese wiederum tragen zu einer privilegierten Stellung des Mannes in der Familie bei, die auch durch die Frauen – meist unbewusst – mitgetragen wird. Das heißt, dass der Entschluss allein, als Paar und Eltern gleichberechtigt zu leben, nicht ausreicht. 

Wir müssen aktiv daran arbeiten, wenn sich etwas verändern soll

Nun steckst Du also bereits direkt drin, in Deinem Familienleben, in dem Du als Mutter plötzlich die Hauptverantwortung für das Kind trägst, für die gesunde Ernährung der ganzen Familie, für die Wäscheberge, die aufgeräumte und reinliche Wohnung und so vieles mehr. Und gleichzeitig hast Du wahrscheinlich auch einen Job, bist berufstätig und willst den Anschluss auf der Arbeit nicht verlieren.

Und vielleicht fühlst Du, als Vater, Dich auch überfordert von der Lohnarbeit, würdest gerne mehr Zeit mit Deinen Kindern verbringen und ein insgesamt ausgeglicheneres Leben führen.

Um eine Veränderung zu bewirken, ist es hilfreich, erst einmal in sich selbst hinein zu spüren. Welche Gefühle habe ich eigentlich in dieser Gemengelage aus Ideologie, eigenen Wünschen und Bedürfnissen aller Familienmitglieder?

Einige mögliche Gefühle, Bedürfnisse und Vorstellungen …

Auf der Seite von Frauen bzw. Müttern:

  • Verantwortungs- und Pflichtgefühl, vermengt mit der Idealvorstellung einer Mutter, die Kinder, Haushalt, Partnerschaft, Selbstfürsorge und Lohnarbeit ohne Probleme unter einen Hut bringt.
  • Stolz, wenn Du Kinder, Job und Haushalt gut bewältigen kannst, und womöglich Scham, wenn Du das nicht schaffst
  • Wut und Enttäuschung, Verletzt-Sein
  • Sich nicht gesehen und alleingelassen fühlen, ja geradezu einsam, wenn der Partner die Verantwortung im Rahmen der Kinderbetreuung und im Haushalt nicht wahrnimmt
  • Überforderung angesichts all dieser Aufgaben
  • Scham, den eigenen Ansprüchen an eine gleichberechtigte Partnerschaft nicht gerecht zu werden
  • Versagensängste und Schuldgefühle, wenn Du Aufgaben an Deinen Partner oder andere abgibst (Sorge, als „Rabenmutter“ dazustehen)
  • Existenzielle Angst und die Befürchtung, als egozentrisch zu gelten, wenn Du Dich selbst ernst nimmst und klar und deutlich für Dich einstehst. Schließlich wurde vielen Frauen ein solches Verhalten als Kind gezielt abtrainiert und mehr oder weniger subtil unter Strafe gestellt.

Mache Dir bewusst, dass weibliche Liebe, ganz besonders Mutterliebe, in unserer Gesellschaft lange mit Selbstaufopferung gleichgesetzt wurde. Dies ist aber nur ein gesellschaftliches Konstrukt und muss nicht so sein. Viel mehr profitieren auch Deine Kinder und Dein Partner davon, wenn du gut für Dich selbst sorgen und Deine eigenen Grenzen und Bedürfnisse klar benennen kannst! Wenn Du Deine Gefühle in diesem Zusammenhang spüren und zulassen kannst, kannst Du Dich auch auf den Weg machen, an der Situation etwas zu ändern. Wut ist gut! Sie gibt Dir die Energie, um Dich für Deine Bedürfnisse einzusetzen.

Auf der Seite von Männern bzw. Vätern:

  • Die finanzielle Verantwortung lastet schwer auf Dir. Du willst Deiner Familie einen möglichst hohen Lebensstandard ermöglichen und deshalb im Job vorankommen.
  • Im Haushalt und in der Kinderbetreuung fühlst Du Dich vielleicht verunsichert. Deiner Frau scheinen diese Aufgaben leichter zu fallen. Mache Dir bewusst, dass auch sie das alles einmal gelernt und geübt hat. Und das kannst Du auch. Je öfter Du etwas tust, umso leichter wird es Dir fallen.
  • Manchmal fühlst Du Dich angesichts der Innigkeit zwischen Deiner Frau und dem Kind regelrecht ausgeschlossen. 
  • Hausarbeit und tiefe Innigkeit mit den Kindern können Dich andererseits in deinem Männlichkeitsbild verunsichern und zu Abwehr-Gefühlen führen. Bist Du überhaupt ein richtiger Mann, wenn Du mehrmals in der Woche kochst und danach aufräumst oder wenn Du Deiner Tochter die Fingernägel schneidest und mit ihren Ponys spielst? 
  • Es mangelt vermutlich an Vorbildern aus Deinem Umfeld, wie ein Mann und Vater aussehen könnte, der Verantwortung für den Haushalt und für die Kinder übernimmt.
  • Du fühlst Dich beruflich unter Druck gesetzt. In Deiner Firma hat bisher noch kaum ein Kollege seine Stelle für die Familie reduziert. Es fühlt sich unangenehm an, das Eis zu brechen und diesbezüglich der Erste zu sein.
  • Du verstehst nicht, warum sich Deine Partnerin überhaupt so aufregt. So schwer kann das doch gar nicht sein mit dem Haushalt und den Kindern. 
  • Du hast ein schlechtes Gewissen, weil Du Dich daran erinnerst, dass Ihr eigentlich eine gleichberechtigte Aufteilung umsetzen wolltet und das nicht Eurer gelebten Realität entspricht. 

Mache Dir bewusst, dass viele Deiner Gedanken und Gefühle in diesem Bereich gesellschaftlich geprägt sind. Aufgrund der männlichen Privilegien, mit denen Du aufgewachsen bist, kannst Du einige Sorgen und Nöte Deiner Partnerin bisher eventuell kaum wahrnehmen, weil sie Dich (vermeintlich) nicht betreffen. Von einem ausgeglichenen Familienleben, in dem auch Du Deine Verantwortung für Haus- und Care-Arbeit übernimmst, könnt Ihr aber alle gemeinsam profitieren. Ihr könnt Euch gegenseitig dann besser wahrnehmen und verstehen und das fördert den Zusammenhalt der Familie ganz enorm. Und wäre es nicht ein tolles Gefühl zu wissen, dass Du Dein Kind auch vollkommen alleine super versorgen könntest, ohne dass Deine Partnerin alle Aufgaben vorgibt?

Was können Paare tun, um sich von der traditionellen Rollenverteilung zu befreien?

Bei all den angestauten und womöglich negativen Gefühlen in diesem Kontext ist es leicht, in Schuldzuweisungen zu verfallen. Dabei solltet Ihr Euch bewusst sein, dass wahrscheinlich jede*r von Euch durch das eigene Verhalten einen Teil zu dieser Situation beigetragen hat. Nehmt Euch viel Zeit zum Einüben. Bestimmt werdet Ihr immer wieder „nachverhandeln“ müssen. Stellt Euch einen Baukasten mit vielen Bausteinen vor. Es kann sein, dass die Häuser und Türme, die Ihr baut, immer mal wieder in sich zusammenfallen. Dass Ihr sie neu bauen oder reparieren müsst. Dieser Prozess braucht Zeit und ist nie ganz abgeschlossen.

Als Frau, also als diejenige, die die Hauptlast der Haus- und Care-Arbeit trägt:

  • Überlege Dir, was Du wirklich brauchst und willst. Wie viele Aufgaben kannst Du übernehmen und wo ist der Punkt, an dem es regelmäßig kippt und Du aus dem Gleichgewicht kommst? 
  • Teile Deine Bedürfnisse Deinem Partner mit! Teile ihm mit, was Du brauchst, damit es Dir gut geht. 
  • Übe Dich darin, nein zu sagen und Deine persönlichen Bedürfnisse, Werte und Grenzen erst zu erspüren und dann auszudrücken. 
  • Frage Dich: Wie viel Mama brauchen die Kinder wirklich? Mach Dir bewusst, dass es auch für Kinder eine Umgewöhnung ist, wenn Mama einige Bereiche weniger übernimmt. Wann ist es also wirklich wichtig, dass Du selbst, als erste Bindungsperson, da bist und wann können Papa oder andere Bezugspersonen gut übernehmen?
  • An welchen Punkten kannst Du eigene Ansprüche an Dich herunterschrauben und es Dir schon damit leichter machen?
  • Mache Dir bewusst: Auch wenn Du z. B. weniger Lohnarbeitsstunden pro Woche hast als er, ist es legitim, eine Pause zu brauchen. Es kann viel anstrengender sein, den ganzen Tag mit einem oder mehreren Kindern zu verbringen, als vor dem PC zu arbeiten. Vor allem, wenn Du beruflich schon im Bereich der Pflege- und Care-Arbeit unterwegs bist, ist es umso anstrengender, anschließend noch das gleiche Programm für die eigenen Kinder bereit zu halten!

Du siehst, es ist enorm wichtig, gut in Dich hinein zu spüren und für Dich zu sorgen.

Als Partner:

  • Höre Deiner Partnerin einfach nur zu und schenke ihr Glauben.
  • Spüre in Dich hinein und nimm Deine Gefühle und Gedanken in diesem Bereich wahr. Wonach sehnst Du Dich? Was davon ist gesellschaftlich geprägt und was davon bist wirklich Du?
  • Übernimm die Verantwortung, die Dir zusteht.

Was Ihr gemeinsam tun könnt:

  • Befasst Euch mit dem Konzept des Mental Load. Dieses Konzept beschreibt den Umstand, dass hinter vielen scheinbar einfachen Haushalts- und Care-Tätigkeiten langfristige Planungen und Organisation stecken. Soll das Mittagessen um 12.30 Uhr auf dem Tisch stehen, muss dafür erst einmal geplant werden, was überhaupt gekocht werden soll. Es muss eine Einkaufsliste erstellt und eingekauft werden. Die anderen Tagesaktivitäten müssen so abgestimmt sein, dass rechtzeitig mit dem Kochen begonnen werden kann usw. Also, welche Hintergrundtätigkeiten und Planungen sind notwendig? Deckt diese vermeintlichen Selbstverständlichkeiten auf und hinterfragt sie. Dann wird es Euch leichter fallen, die anfallenden Aufgaben gerecht neu aufzuteilen. 
  • Erstellt einen konkreten Plan. Wer putzt was wann? Wer kocht wann? Wer macht die Küche sauber? Wer bringt den Müll raus? Wer betreut die Kinder wann?… Auch wenn ein Plan an alte WG-Tage erinnern und zunächst etwas nervig anmuten mag, kann er helfen, um nicht jeden Tag mehrfach verhandeln zu müssen, wer welche Aufgabe übernehmen soll.
  • Und dann heißt es, besonders für die Frau, ohne schlechtes Gewissen abzugeben. Auch wenn Papa Dinge anders macht und vielleicht nicht ganz den eigenen Ansprüchen an eine perfekte Haushaltsführung entspricht.
  • Wo könnt Ihr Arbeitsabläufe vereinfachen oder Unterstützung von außen dazu holen? Es kann z. B. hilfreich sein, Einkäufe liefern zu lassen anstatt mit den Kindern im Schlepptau einkaufen gehen zu müssen.
  • Wenn Ihr Euch auf den Weg machen wollt, Eure Rollen neu zu verteilen, könnt Ihr Euch in diesem Prozess von einem Paartherapeuten*einer Paartherapeutin begleiten lassen. 

Die Überwindung einer traditionellen Rollenverteilung innerhalb der Familie ermöglichen allen Familienmitgliedern emotionalere und tiefere Zugangswege zueinander. Anstatt Frust und Anspannung zu verdrängen, öffnet Ihr Euch einander und macht Euch gemeinsam auf den Weg. Betrachtet es als eine Art Zukunftswerkstatt für Eure Familie, mit der Ihr Euch Schritt für Schritt, Nachverhandlung um Nachverhandlung, dem Ideal annähern könnt, wie Ihr gemeinsam leben wollt. Ihr habt es in der Hand, Dinge bewusst anders zu gestalten, als Ihr sie selbst erlebt habt. Und das wird es Euren Kindern, ja vielleicht sogar den Enkel*innen, später leichter machen, nicht in dieselben Fallen zu tappen. 

Ich wünsche Euch alles Gute auf diesem gemeinsamen Weg!

Alles Liebe! Deine

Jasmin Zahedi

Übrigens: Hier findest Du die dazu passende Episode unseres Podcasts!

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