Im Familienalltag müssen wir nicht nur häufiger ja, sondern auch häufiger nein sagen, als uns lieb ist. Wann sollten wir lieber nein als ja sagen? Warum ist es überhaupt so wichtig, nein zu sagen? Und wie sollten wir dieses Nein zum Ausdruck bringen, damit es wirkt, ohne Schaden anzurichten?

Ja, wir wollen eine Ja-Umgebung!

In der bedürfnisorientierten Erziehung spielt das Schaffen einer sogenannten „Ja-Umgebung“ eine große Rolle. Das bedeutet, dass wir als Eltern versuchen, unserem Kind ein Umfeld zu gestalten, in dem unnötige Neins vermieden werden. Wir wollen grundsätzlich offen sein für den Forscherdrang, die Ideen und die Emotionen unseres Kindes. Es soll im Matsch spielen dürfen, deshalb ziehen wir ihm Kleidung an, bei der wir uns keine Sorgen machen müssen. Wir sichern die Wohnung kleinkindgerecht ab, damit es auf Erkundungstour gehen kann. Dinge, von denen wir nicht möchten, dass es sie erforscht, schaffen wir aus dem Sichtfeld oder zumindest außer Griffweite. Mit der Ja-Umgebung möchten wir dem Autonomiestreben unseres Kindes gerecht werden. Wir möchten ihm vermitteln: „Du bist okay mit Deinen Bedürfnissen, Wünschen und Ideen!“

Und doch lässt sich das Wort „Nein“ nicht vermeiden. Es ist sogar ein ganz wesentlicher Bestandteil unseres familiären Zusammenlebens. Warum ist das so?

Das Problem mit dem halbherzigen Ja

Natürlich möchten wir unseren Kindern am liebsten jeden Wunsch erfüllen. Auch in unserer Partnerschaft möchten wir gerne immer nur Jas signalisieren (und hören). Doch, egal wie verliebt wir sind, es kommt der Punkt, an dem wir an unsere Grenzen geraten. Und dann kommt es um die Ecke: das lauwarme Ja, das nicht von Herzen kommt, sondern mal aus Resignation, mal aus Pflichtgefühl, mal aus strategischen Erwägungen. Kleine Kinder kennen erst einmal kein halbherziges Ja. Sie sagen schlicht und ergreifend nein, wenn sie etwas nicht möchten; vollkommen unverblümt und reinen Gewissens. Davon dürfen wir uns eine Scheibe abschneiden.

Besonders gefährlich ist es, wenn sich in unser Ja ein Kalkül einschleicht. Ich sage „na gut, ok“ zu etwas, das ich eigentlich nicht möchte, und meine „innere Buchhaltung” notiert sich alles genau. Viele Konflikte auf der Paar-Ebene fangen genau so an. Ich sage immer wieder zähneknirschend ja: „Ja, ich mache den Abwasch”, „Ja, lass uns am Wochenende Deine Eltern besuchen”, „Ja, ich bringe noch den Müll raus”. Das Problem: Meine „innere Buchhaltung” wartet insgeheim auf ein Lob, ein Dankeschön, eine Gegenleistung – und wenn das alles ausbleibt, weil unser Partner oder unsere Partnerin gar nichts von unserer Rechnung mitbekommen hat, sind wir mindestens gekränkt. Dabei wäre es unsere eigene Verantwortung, unsere Grenzen zu wahren und unsere Bedürfnisse zu kommunizieren.

Die anderen Familienmitglieder werden nicht jedes Mal begeistert sein, wenn wir nein sagen, aber auf lange Sicht froh sein, zu wissen, woran sie bei uns sind. Und sie werden es als Entlastung erleben, wenn wir die Verantwortung für unser eigenes Wohlergehen übernehmen.

Warum das Nein so wichtig ist

Nehmen wir einmal an, es ist schon später Nachmittag und Du hast Dein Kind aus der Kita abgeholt. Ihr habt beide einen langen Tag hinter Euch. Dein Kind möchte gerne noch in die Bücherei und Du bist damit einverstanden. Nach einer Weile bei den Büchern und in der Spiele-Ecke – es geht nun langsam in Richtung Abend – möchte Dein Kind noch auf den Spielplatz. Du aber denkst schon an die Vorbereitung des Abendessens und daran, dass ihr rechtzeitig zu Hause sein solltet, damit die Stimmung nicht kippt. „Nur gaaanz kurz!“, bettelt Dein Kind und, naja, fünf Minuten wären schon noch drin …

Merkst Du, wie es Dir an dieser Stelle schon ein wenig heiß wird? Wie Du ein mulmiges Gefühl in der Bauchgegend bekommst? Oder sich Deine Nackenmuskeln anspannen? Genau solche ganz kleinen, körperlichen Empfindungen zeigen Dir an, dass in Dir etwas immer lauter „Nein!“ ruft. 

Du als Elternteil trägst nicht nur die Verantwortung dafür, dass Dein Kind seinem Forscherdrang freien Lauf lassen kann. Du trägst auch die Verantwortung für die Übergänge, für die Abendgestaltung, für die emotionale und körperliche Ausgeglichenheit Deines Kindes und für Deine eigenen Ressourcen! Und deshalb brauchst Du das Nein. Für Dein Kind ist ein aufrichtiges Nein von Dir eine Möglichkeit, Dich und Deine Lebensrealität besser kennenzulernen. Ein aufrichtiges Nein gibt ihm Orientierung und Halt. 

Und das wünschen sich die meisten Kinder: Sie wollen ihre Eltern kennenlernen und sie als Leitstern sehen können. Ein halbherziges, unaufrichtiges Ja von Elternseite kann bei einem Kind Spannungsgefühle und Unsicherheit verursachen. Dein Kind merkt: Irgendetwas stimmt nicht – und so, wie Kinder nun mal sind, empfindet es im schlimmsten Fall, dass es selbst irgendwie schuld sei oder etwas falsch gemacht habe. Ein defensives Ja kann, wenn es zu häufig angewendet wird, also unserer Beziehung schaden und dem Selbstbewusstsein unseres Kindes einen Dämpfer geben. Und ein Kind, das von seinen Bezugspersonen kein aufrichtiges Nein kennt, wird später selbst womöglich Schwierigkeiten haben, seine eigenen Grenzen anderen gegenüber zu setzen.

Wir brauchen das Nein also nicht, wie so oft behauptet wird, um unseren Kindern damit Grenzen zu setzen, sondern um unsere eigenen Grenzen zu wahren – und damit ja zu uns selbst zu sagen. Und: Die Bedürfnisse unserer Kinder ernst zu nehmen ist etwas anderes, als ihnen jeden Wunsch zu erfüllen.

Ein Nein von Herzen ist also unglaublich wichtig – für Deine eigenen Ressourcen, für die Orientierung und das Selbstbewusstsein Deines Kindes. Es richtet sich nicht gegen Dein Kind, sondern zeigt ihm, wer Du bist. Nur, wer nein sagen kann, kann auch aus ganzem Herzen – und ohne strategische Hintergedanken – ja sagen. Das beste was wir für unsere Kinder tun können, ist, ihnen diese Gewissheit zu geben: Wenn wir nein sagen, meinen wir nein, und, wenn wir sagen, meinen wir auch wirklich ja. Natürlich: Ein aufrichtiges Nein erfordert mehr Fingerspitzengefühl und Mut als jedes Ja. Aber gerade das macht es auch zu einem ganz besonderen Liebesbeweis.

Zum Abschluss möchte ich Dir noch eine kleine Anleitung für ein aufrichtiges „Nein“ mitgeben – zum Ausprobieren zu Hause 😉

So macht Dein Nein Eindruck ohne zu verletzen

  • Benenne Dein Nein klar, direkt und zeige Dich persönlich: „Nein, das will ich jetzt nicht!“ oder „Nein, das wird mir zu viel!“.
  • Verstecke Dich nicht hinter moralischen Neins wie „Das gehört sich nicht“ oder pädagogischen wie „Das ist nicht gut für dich”.
  • Du kannst natürlich eine Erklärung für Dein Nein abgeben, aber vor allem wenn es um Dein Bauchgefühl und Deine persönlichen Grenzen geht, brauchst Du Dich nicht zu rechtfertigen!
  • Versuche, Dein Kind mit Deinem Nein nicht abzuwerten: „Nein, was ist das für eine blöde Frage!“ oder „Du schon wieder! Ich habe doch schon huntert mal gesagt, dass ich nicht …!“ Derartige Aussagen entwerten ein Kind und können dazu führen, dass es Dir seine Wünsche langfristig nicht mehr anvertrauen wird.
  • Gestehe Deinem Kind (oder auch Deinem*r Partner*in) zu, über Dein Nein enttäuscht zu sein. Wenn Du nein sagst, muss Dein Gegenüber nicht begeistert darüber sein. Es darf geschmollt werden. Du kannst Dich empathisch zeigen und trotzdem bei Deinem Nein bleiben. Oder, wenn es sich richtig anfühlt, noch einmal darüber nachdenken.

Ich wünsche Dir viele spannende Erkenntnisse beim Erspüren und Aussprechen Deines Neins!

Deine

Jasmin Zahedi

Hier kannst Du Dir die passende Episode unseres Podcasts anhören!

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