Wie Du bestimmt beim Lesen unserer anderen Texte auf diesem Blog oder beim Anhören unseres Podcasts schon gemerkt hast, vertreten Michael und ich eine bestimmte Haltung Kindern sowie der Elternschaft gegenüber. Diese Haltung haben wir einerseits im Laufe unserer fachlichen Ausbildung und Berufserfahrung entwickelt. Und andererseits hat sie sich im Laufe unserer eigenen Elternschaft und Partnerschaft bewährt. Man kann das, was wir vertreten, als Bedürfnisorientierung bezeichnen. In diesem Artikel möchte ich Dir erklären, was es damit auf sich hat, welche Missverständnisse im Zusammenhang mit der Bedürfnisorientierung häufig vorkommen und warum wir dennoch gerne diese Haltung vertreten.
Immer wieder höre und lese ich davon, wie Eltern sich an der bedürfnisorientierten „Erziehung“ probieren – und scheitern. Oder wie in quotenstarken Medien die Rede davon ist, Eltern heutzutage würden zu viel Gewese um ihre Kinder machen – und das habe sicherlich mit den modernen, verweichlichten Erziehungsmethoden zu tun. Mütter schreiben mir, sie seien am Ende ihrer Kräfte, da sie mit der Befriedigung der Bedürfnisse ihrer Kinder ihre letzten Kraftreserven aufgegeben hätten. Sie sind verunsichert, ob es ihrem Kind zum Beispiel schaden würde, wenn es sie es einmal zur Betreuung jemand anderem anvertrauen und das Kind darüber – zumindest im Moment der Übergabe – nicht glücklich scheint.
An dieser Stelle möchte ich gerne einhaken und zunächst einmal anschauen, was wir unter Bedürfnisorientierung verstehen.
Was zeichnet die Bedürfnisorientierung aus?
- Bei der bedürfnisorientierten Elternschaft geht es um eine Haltung, welche die Kinder in den Blick nimmt – mit ihren evolutionsbedingten und entwicklungspsychologischen Voraussetzungen und Bedürfnissen. Vieles an dem, wie Kinder sich verhalten, hat seinen Ursprung eben in unserer Menschheitsgeschichte und in der Entwicklung unseres Gehirns. Wenn wir diese Zusammenhänge verstehen und anerkennen, können wir daran ansetzen und eine echte Erleichterung in unserem Familienalltag erleben.
- Es wird versucht, diesen Bedürfnissen in der Beziehung zum Kind gerecht zu werden. Eltern, die sich an diesem Konzept orientieren, bemühen sich darum, den Bedürfnissen der Kinder nach Bindung, Nähe und Geborgenheit nachzukommen. Sie wollen einen gleichwürdigen Umgang mit ihren Kindern pflegen.
- Sie möchten ihre Kinder so annehmen und respektieren, wie sie sind.
- Sie bemühen sich, die Grenzen ihrer Kinder zu achten und ihre Integrität und Würde zu bewahren.
- Ganz konkret bedeutet das, dass Eltern in diesem Erziehungsstil auf Gewalt, Strafen, Schimpfen, Manipulation und Demütigung verzichten oder sich zumindest darum bemühen, diese zu vermeiden.
- Die Bedürfnisorientierung ist von Vertrauen geprägt; von grundlegendem Vertrauen in die Entwicklungs- und Lernfähigkeit der Kinder. Vom Vertrauen darauf, dass Kinder wertvolle Mitglieder der Gesellschaft werden und sich positiv einbringen wollen. Vom Vertrauen darauf, dass auch Verhaltensweisen, die für uns Eltern manchmal anstrengend sind – wie z.B. Anklammern, nächtliches Aufwachen oder Trotzanfälle – ihren Sinn in der Entwicklung der Kinder haben.
- Die Erziehungshaltung ist von der Überzeugung geprägt, dass wir Erwachsenen das Kind durch die dahinter liegenden Bedürfnisse begleiten sollten, anstatt uns darauf zu konzentrieren, ein von uns unerwünschtes Verhalten abzustellen.
Auch die Wissenschaften geben grünes Licht
Für mich persönlich, als Diplom-Pädagogin und Science-Nerdin :-P, ist dabei wichtig zu betonen, dass die Sinnhaftigkeit dieser Erziehungshaltung inzwischen gut wissenschaftlich belegt ist. In den entsprechenden Wissenschaften (z. B. Pädagogik und Entwicklungspsychologie) werden die dazugehörigen Verhaltensweisen von Eltern zwar nicht „Bedürfnisorientierung“ genannt. Sie werden eher umschrieben. Doch es ist inzwischen gut nachgewiesen, dass ein feinfühliger, bindungs- und bedürfnisorientierter Erziehungsstil ganz wesentlich dazu beiträgt, dass ein Kind zu einem psychisch stabilen, selbstbewussten, erfolgreichen, beliebten und resilienten Erwachsenen werden kann. Feinfühliges und bindungsorientiertes Verhalten gelten als Goldstandard in der Entwicklungspsychologie und der Kleinkindpädagogik, auch wenn das im Mainstream so noch nicht angekommen ist. Leider haben die entsprechenden Fachdisziplinen scheinbar ein großes Problem damit, ihre Erkenntnisse in das öffentliche Bewusstsein zu tragen. Schon allein deshalb bin ich um jede fachlich versierte Stimme froh, die es schafft, anschaulich und einfach zu erklären, wie eine bedürfnisorientierte Elternschaft gelingen kann.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch darauf hinweisen, dass z. B. Strafen, Gewalt und autoritäre Elternschaft nachweislich das Risiko späterer psychischer Erkrankungen, wie z. B. Depressionen, Angststörungen, Zwangsstörungen bis hin zu Persönlichkeitsstörungen, Drogenabhängigkeit und Gewaltbereitschaft im Erwachsenenalter erhöhen.
Ganz wichtig dabei ist, dass es in der Bedürfnisorientierung eben nicht um ein Erziehungsprogramm geht, mit klaren Handlungsanweisungen an die Eltern (wie z. B. antiautoritäre oder autokratische Erziehung), sondern es geht um eine HALTUNG. Und hier liegt, meiner Meinung nach, das größte Problem. Denn hier setzen viele der Missverständnisse an.
Häufige Missverständnisse über die Bedürfnisorientierung
Der Fokus auf klare Handlungsanweisungen treibt nämlich so einige fragwürdige Blüten, die es Eltern und ganz besonders Müttern sehr schwer machen können, langfristig diesem Weg zu folgen – oder besser: dem, was sie darunter verstanden haben. Daher möchte ich Dir nun einige der häufigsten Missverständnisse aufzeigen und erklären, warum diese zu Problemen werden können. Und natürlich will ich Dir auch Wege aufzeigen, wie es tatsächlich funktionieren kann.
1. Die Bedürfnisse der Kinder über alles?
Eines der größten Missverständnisse über die Bedürfnisorientierung liegt darin, dass viele meinen, es ginge dabei ausschließlich um die Bedürfnisse der Kinder. Das würde bedeuten, dass die Bedürfnisse der Eltern jenen der Kinder untergeordnet seien. So ist das jedoch nicht gedacht. Bedürfnisorientierung bezieht die Bedürfnisse aller Familienmitglieder mit ein! Denn eines sollte klar sein: Nur, wenn auch die Eltern auf ihre Bedürfnisse und Grenzen achten und es schaffen, in ihrer Mitte zu bleiben, können die Bedürfnisse der Kinder überhaupt erfüllt werden. Denn wie soll eine völlig ausgezehrte Bezugsperson überhaupt noch in der Lage sein, sensibel und feinfühlig auf ihre Kinder einzugehen? Überlastung, Schlafmangel und Stress sind ein gefährlicher Cocktail, der das Empathievermögen senkt. Und ohne Empathie können wir kein Verständnis für die Bedürfnisse unserer Kinder aufbringen. Sicherlich gibt es im Laufe der Elternschaft immer wieder Zeiten und Momente, in denen wir Eltern unsere eigenen Bedürfnisse hintanstellen, um unsere Kinder gut zu begleiten. Dies sollte jedoch niemals zu einer langfristigen Situation oder gar einem grundsätzlichen Lebensmodell mit Kindern werden.
2. Mama über alles?
Ganz besonders schwer lastet Missverständnis Nummer 1 auf den Müttern, die nicht selten mit den besten Absichten die Bestimmungsmacht über ihren Körper und ihre seelische Integrität mit der Mutterschaft abgeben. Heißt es nicht, die Mutter sei die wichtigste Bezugsperson und Babys und Kleinkinder müssten ganz viel Mama tanken für einen guten Start ins Leben? Wenn das Baby bei der Übergabe an Papa oder Oma schreit, sollte Mama nicht lieber doch dableiben und wieder übernehmen? Ist es überhaupt okay, ein Kind in eine Kita zu geben, wenn man es theoretisch in den ersten vier bis sechs Jahren doch zu Hause betreuen könnte?
An diesen Unsicherheiten und der starken Fokussierung auf die Mutter sind auch die professionellen Vertreterinnen dieser Erziehungshaltung nicht ganz unschuldig: John Bowlby, Mary Ainsworth, William und Martha Sears – sie alle konzentrieren sich insbesondere auf die wichtige Rolle der Mutter als zuverlässigste und wichtigste Bezugsperson. Auch viele Mama-Blogerinnen und Mama-Instagrammerinnen oder Autoreninnen entsprechender Erziehungsratgeber vermitteln diesen Eindruck. Sie scheinen irgendwie Super-Menschen zu sein, so wie sie die Bedürfnisse ihrer Kinder befriedigen – und das oft sogar mit mehreren Kindern – und natürlich top-gestylt. Fest steht jedoch: Die Bedürfnisbefriedigung der Kinder ist nicht nur an eine einzige Person gebunden! Vor allem nicht rund um die Uhr! Auch Papa, Oma, Opa, Cousine oder Cousin oder eine Babysitterin können Bedürfnisse nach Nähe, Geborgenheit und Trost von Babys und Kleinkindern befriedigen. Im Rahmen der Bindungsforschung konnte nachgewiesen werden, dass Babys sich im ersten Lebensjahr an bis zu vier Personen eng binden können. Dies geschieht im Rahmen einer Bindungspyramide. Das heißt: Babys bevorzugen ihre engste Bezugsperson, ganz besonders zum Schlafen, Trösten und bei Krankheit. In vielen Situationen sind Babys und Kleinkindern andere Bezugspersonen aber sehr willkommen – ganz besonders, wenn es darum geht, die Welt zu erkunden. Es ist also mitnichten so, dass es Deinem Kind schaden würde, wenn Du es einmal an eine vertraute und ebenso fürsorgliche Person abgibst, um Dich selbst ein wenig auszuruhen oder etwas anderes zu erledigen. Der enge Fokus auf die Mutter hat seinen Ursprung nicht wirklich in den Bedürfnissen der Kinder. Er entspringt vielmehr dem westdeutschen Ideal der deutschen Mutter und Hausfrau und unserer Organisation der Familie als Kleinfamilie. Wir Menschen sind jedoch Gemeinschaftswesen und zwar schon als Babys, ganz besonders aber als Eltern.
Autonomie ist ein Grundbedürfnis, genauso wie Geborgenheit
Ich persönlich würde sogar behaupten, dass es gut für Kinder ist, wenn sie bereits im ersten, spätestens im zweiten Lebensjahr mehrere enge Bezugspersonen kennenlernen dürfen. Dabei geht es besonders um Erfahrungen von Autonomie und Selbstwirksamkeit, die auch schon kleinste Kinder genießen und mit Stolz erfüllen können. Wir dürfen uns als Eltern damit ermutigen, dass wir für unsere Kinder niemals die ganze Welt abbilden und darstellen können. Es tut Kindern gut und gibt ihnen ein Gefühl des Gehalten-Seins in der Welt, wenn sie feststellen dürfen, dass sie nicht nur ihrer Mama vertrauen können, sondern auch ihrem Papa, ihrer Tagesmutter oder einer Babysitterin. Wichtig dabei ist natürlich, dass die weiteren Bezugspersonen ebenso feinfühlig und achtsam mit dem Kind umgehen, wie seine Eltern. Wenn Du gerne weitere Bezugspersonen für Dein Kind etablieren willst und diesen in Bezug auf ihre Feinfühligkeit noch etwas unter die Arme greifen möchtest, kannst Du Großeltern, Tanten, Babysitter*innen usw. auch gerne einen Gutschein für einen meiner Kurse schenken. Dort erfahren enge Bezugspersonen alles, was Babys und Kleinkinder brauchen, um sich geborgen zu fühlen und eine starke Persönlichkeit zu entwickeln.
3. Kennt Bedürfnisorientierung Grenzen?
Viele denken, in der bedürfnisorientierten Erziehung würden Kindern keine Grenzen aufgezeigt. Die Horrorvision von kleinen Tyrannen geistert durch unsere Köpfe. Doch auch das ist wieder ein Missverständnis. Wie in unseren beiden Podcast-Folgen über Grenzen für Kinder ausführlich erklärt, geht es darum, Kindern die natürlichen Begrenzungen ihrer Alltagswelt aufzuzeigen. Und auch die Grenzen ihrer Bezugspersonen dürfen Kinder kennenlernen. Ich darf als Mutter oder Vater auch nein sagen, wenn ich etwas nicht möchte oder es mir zu viel wird! Dabei sind immer wieder kreative Lösungen gefragt, um die Bedürfnisse aller Familienmitglieder berücksichtigen zu können. Ich darf als Elternteil die Richtung vorgeben und wichtige Eckpfeiler bestimmen. Den Gesamtüberblick und die Verantwortung – auch für das eigene Wohlergehen – tragen immer noch die Eltern.
4. Ist Bedürfnisorientierung anstrengend?
Viele denken, bedürfnisorientiert zu erziehen sei anstrengender als andere Erziehungsstile. Wenn ich immer alle Bedürfnisse im Blick haben muss und auf die Wünsche der Kinder eingehen soll, anstatt ihnen einfach Befehle zu geben – ist das nicht anstrengender? Wir denken: Nein. Denn eines solltest Du wissen: Unerfüllte Bedürfnisse Deines Kindes (und auch von euch Eltern) verschwinden nicht. Sie tauchen nur an anderer Stelle wieder auf. Zum Beispiel in Form vermehrten Schreiens, vermehrter Trotzreaktionen, Aggressionen gegen andere Kinder oder sich selbst. Bei uns Eltern führen unerfüllte Bedürfnisse nicht selten zu Wut und Aggressionen gegen die Kinder oder auch zu Resignation und Zynismus. Wir Eltern sind also in der Bedürfnisorientierung aufgefordert, unseren Alltag so zu strukturieren, dass auch unsere eigenen Bedürfnisse nicht auf der Strecke bleiben. Und vielleicht ist es Dir auch schon einmal aufgefallen, dass es viel entspannender sein kann, wenn Du es schaffst, mit den Emotionen Deines Kindes mitzuschwingen. Dass vieles leichter wird, wenn Du die Emotionen und Bedürfnisse Deines Kindes nachvollziehen und mitberücksichtigen kannst, anstatt gegen diese anzukämpfen. Sich nur auf das Verhalten des Kindes zu konzentrieren und darauf, Unerwünschtes abzustellen, das (!) ist anstrengend. Ein regelrechter Kampf gegen Windmühlen.
5. Ist Bedürfnisorientierung perfektionistisch?
Manchmal entsteht der Eindruck, dass Eltern, die bedürfnisorientiert handeln wollen, sehr unter Druck stehen. Klar: Wenn wir den Anspruch haben, es allen (inklusive uns selbst) recht zu machen und uns so sehr wünschen, unserem Kind eine glückliche Kindheit zu schenken, kann das schon mal in Stress ausarten. Aber dabei geht es in der Bedürfnisorientierung nicht um Perfektion. Es geht ja um eine Haltung. Wir bemühen uns darum, die Bedürfnisse der Familienmitglieder im Blick zu haben und zu erfüllen. Und wenn das gelingt, ist es wunderbar und wir können in einen regelrechten Familien-Flow kommen.
In manchen Situationen und Lebensumständen ist dies aber nicht zu 100 Prozent möglich und wir müssen abwägen. Es ist okay, wenn Dein Baby einen kurzen Moment allein ist und schreit, weil Du, während es noch schlief, entschieden hast, kurz duschen zu gehen. Es ist okay, wenn Du, während Dein Kind einen Schrei-Anfall hat, kurz den Raum verlässt, um Dich selbst zu erden. Es besteht ein sehr großer Unterschied dazwischen, ob ein Baby oder Kleinkind einmal einen Moment alleine schreit, weil es sich nicht verhindern lässt, oder ob man es mit einer pseudo-pädagogischen Absicht extra alleine schreien lässt (nach dem Motto: „Damit Du es endlich lernst!“ oder „Damit Du lernst, alleine klarzukommen!“). Dein Kind wird im Laufe seiner Kindheit in vielen kleinen Alltagssituationen feststellen, dass Mama und Papa tatsächlich versuchen, auf seine Bedürfnisse einzugehen – oder eben nicht. Die spürbare Grundhaltung macht einen Unterschied, auch wenn wir das nicht immer in Worte fassen können und es auch nicht immer an der Anzahl der Minuten vorm Fernseher oder der täglichen Schreidauer messen können.
Außerdem kann es generell nicht darum gehen, Deinem Kind eine frustrationsfreie Umgebung zu schaffen. Ja, wir wollen unnötige Frustrationen vermeiden, aber nicht das Kind vor dem Leben an sich bewahren. Das ist weder möglich noch nötig. Auch wenn Mama zum Beispiel nicht mehr alles alleine machen kann und Papa in die Einschlafbegleitung eingeführt wird, kann das eine notwendige Frustration für ein Kind sein, weil es eben notwendig ist, dass Mama Erholung bekommt. Wenn eine Mutter ohne Entlastung irgendwann zusammenbricht oder ausrastet, hat das Kind nichts davon, dass sie sich vorher aufgeopfert hat.
Wie wir bereits festgestellt haben, wollen Kinder ja wachsen und Autonomie gewinnen. Sie wollen lernen. Diesen Bedürfnissen kann ich in einem frustrationsfreien Raum nicht gerecht werden. Lernen an sich geschieht zu einem großen Teil über Frustration – und damit meine ich nicht die Frustration über eine Strafe. Sondern die Frustration, etwas noch nicht zu schaffen, aber unbedingt können zu wollen. Immer wieder hinzufallen und trotzdem nicht aufzugeben, bis man beispielsweise Laufen kann. Ein anderes Kind auf dem Fahrrad zu sehen und zu denken: „Das will ich auch können!“ Einem Kind diese Art von Autonomie und Lernen zuzugestehen ist genau der Unterschied zu dem, was wir gemeinhin als „Helikopter-Eltern“ oder „Rasenmäher-Eltern“ kennen. Es ist eine Haltung, die sich vom Anspruch auf perfekte Förderung, perfektes Glück und perfekte Harmonie verabschiedet und stattdessen das Leben in seiner ganzen Buntheit akzeptiert.
6. Gibt es ein „Richtig“ oder „Falsch“ in der Bedürfnisorientierung?
Ein letztes, ganz wesentliches Missverständnis ist die Auffassung, dass die Bedürfnisorientierung Eltern ein klares Set an Handlungsempfehlungen gäbe, die alle Eltern zu befolgen hätten. Auch hier ist eigentlich das Gegenteil der Fall. Die Bedürfnisorientierung als Haltung ist genau deshalb so großartig, weil sie keine pauschalen Antworten und keine Patent-Rezepte kennt. Denn jedes Kind ist einzigartig, so wie jedes Elternteil. Babys lieben es, getragen zu werden – aber Dein Baby sieht das anders oder Dein Rücken macht das nicht mit? Okay, dann findet ihr eine andere Lösung. Das Familienbett ist super, aber Du bekommst so in der Nacht kein Auge zu? Vielleicht schläft Dein Kind dann doch lieber in seinem eigenen Zimmer und darf am Morgen für eine extra Kuschel-Einheit zu Dir kommen. Lange Stillen ist besonders gut, aber Du fühlst Dich bei jedem Anlegen genervt oder Dein Baby entscheidet mit acht Monaten, dass es das nicht mehr braucht? Okay, denn es gibt viele Wege ein Baby oder Kleinkind zu nähren!
Das Konzept der Bedürfnisorientierung, so wie wir es verstehen, heißt eigentlich, sich bewusst gegen ein Konzept zu entscheiden: Als Eltern schauen wir unser individuelles Kind und uns selbst in unserer einzigartigen Situation an. Was braucht Dein Kind jetzt? Und was brauchst Du? In jeder Familie können eigene Antworten auf die drängenden Fragen gewonnen werden. Es geht eben darum, in sich hinein zu spüren; sich selbst zu reflektieren. Manchmal brauchst Du dabei vielleicht Unterstützung oder einen Wink in die richtige Richtung. Ich hoffe, Du wirst hier auf unserem Blog oder in unserem Podcast fündig – ansonsten scheue Dich nicht, uns zu fragen!
Fazit
Die Bedürfnisorientierung beherzigt nicht nur die Bedürfnisse der Kinder. Sie erkennt an, dass echte Nestwärme nur dann entstehen kann, wenn auch die Eltern in ihrer Mitte stehen, ihre eigenen Bedürfnisse kennen und achten. Du darfst Dir Entlastung schaffen und diese auch einfordern – zunächst einmal gegenüber Deinemr Partnerin und Deinem Umfeld und auch gegenüber Deinem Kind! Es ist wichtig, dass Eltern in der Lage sind, ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen und auch zuzulassen. Wut und Überforderung kannst Du als Signal betrachten, die Dich darauf hinweisen wollen, dass Du aus der Balance gekommen bist. Vielleicht reicht es schon, diese Gefühle zuzulassen und den Alltag ein klein wenig anders zu organisieren. Vielleicht kann es sinnvoll sein, Dir Hilfe zu suchen. Und sieh es einmal so: Wenn Du Deinem Kind Deine Gefühle und Bedürfnisse zeigst und ihm zeigst, wie Du damit umgehen kannst – dass Du etwas ändern oder Dir Hilfe holen kannst – dann kannst Du zu einem echten Vorbild werden. Dein Kind kann dann von Dir lernen, mit schwierigen Situationen, mit Wut, Trauer, Frust und Enttäuschung umzugehen. Dein Kind kann Dich als ganzheitlichen Menschen kennenlernen, der ebenfalls Bedürfnisse hat und nicht unfehlbar ist – und das stärkt euer beider Integrität.
Wenn Du noch Fragen zur Bedürfnisorientierung hast oder damit haderst, wie Du diese Haltung in Deinem Familienalltag umsetzen kannst, kannst Du Dich gerne an Michael oder mich wenden – mit einer Frage für unseren Podcast „Familie in Beziehung“ oder in einem kostenlosen Erstgespräch.
Übrigens: Hier findest Du eine zum Artikel passende Podcast-Episode!
Alles Liebe, Deine